Nach meiner Erfahrung und der Erfahrung anderer erfahrener Nutzer hängt die Qualität der Erkennung des Gesprochenen, also die Erkennungsgenauigkeit, nicht nur generell von der Sauberkeit und Deutlichkeit der Aussprache beim Diktat ab. Vielmehr geht die Abhängigkeit der erzielten Ergebnisse vom Sprecher so weit, dass es auch auf die jeweilige psychische Verfassung, vulgo: Stimmung, des Sprechers ankommt. Die besten Ergebnisse werden erzielt, wenn man nicht gestresst und gehetzt ist, sondern möglichst entspannt und in einer positiven Stimmungslage.
Ob „positiv denken“ immer richtig ist, mag man bezweifeln, „positiv diktieren“ ist es in jedem Fall.
So wie nach einem klugen Wort die Stimme ein Spiegel der Seele ist, so ist ein gutes Stück weit die – scheinbare – Laune des Drachen ein Spiegel der Laune seines Besitzers. Umgekehrt gesagt: Wer den Eindruck hat, dass der Drache jeden Tag unterschiedlich „aufgelegt“ ist und mal besser, mal schlechter versteht, was gemeint war, muss sich an die eigene Nase bzw. das eigene Mikrofon fassen.
Dabei spielen nach meiner unmaßgeblichen Einschätzung sowohl das akustische wie auch das linguistische Modell (Sprachmodell) eine Rolle: Im Zustand höchsten Ärgers oder grimmiger Genervtheit entspricht das akustische Abbild der Stimme, welches Dragon NaturallySpeaking ausliest, eben nicht den typischen Merkmalen, die im Regelfall bei der Anlage des Benutzerprofils hinterlegt wurden. Und ist der Sprecher genervt, wird er in der Regel weniger in der Lage sein, lange zusammenhängende Äußerungen zu diktieren, die den Algorithmen des Sprachmodells durch die Analyse von Quadgrammen (4-Wort-Folgen) am besten ermöglichen, die wahrscheinlichste Wortfolge herauszufiltern.
Wer seine Sätze herauspresst oder knödelt und abgehackte Äußerungen im sprichwörtlichen Kasernenhofstil ausstößt, wird weniger Erfolg haben als jemand, der in aller Ruhe klar und deutlich zusammenhängende Äußerungen vor sich hin spricht. Insbesondere bei der Verwendung eines englischsprachigen Benutzerprofils kommt nach meiner Beobachtung auch noch einer korrekten Satzmelodie und Betonung erhebliche Bedeutung bei.
Mir jedenfalls geht es so, dass ich die besten Ergebnisse erziele, wenn nicht ständig zwischendrin das Telefon klingelt, ein Kollege herein kommt oder stress-trächtige E-Mails in den Posteingang purzeln, sondern wenn ich zu einer Tagesrandzeit oder am Wochenende in aller Ruhe vor mich hin räsonieren kann.
Neu ist das alles nicht: Schon die Hilfe- oder Trainingstexte belehren nach meiner Erinnerung – und jedenfalls zu Recht – an einer Stelle darüber, dass es nicht hilft, bei wiederholten Erkennungsfehlern in das Mikrofon zu schreien. Leider ist es nur der englischsprachige Trainingstext, der – ebenfalls zu Recht – den wertvollen Hinweis gibt, am besten zu sprechen wie ein Nachrichtensprecher – und der bemüht sich (jedenfalls in Deutschland zum Glück) normalerweise auch um eine neutrale Tonlage.
Man muss es nicht gleich philosophisch wenden, aber ein bisschen paradox scheint es schon (scheint aber auch nur so): Die größte Produktivitätssteigerung oder Beschleunigung erzielt man nicht beim schnellsten, sondern beim regelmäßigsten Diktat. Wie so oft im Leben, gilt auch hier:
In der Ruhe liegt die Drachen-Kraft.
So, die nächsten zwei Wochen verschone ich alle mit meinen Binsen-Drachenweisheiten.
Marius Raabe
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